Retro liegt uns in den Genen

Retro-Expertin Dr. Claudia Preis

Retro-Expertin Claudia Preis (Quelle: Preis)

Eine Schreibmaschinen-App auf dem Smartphone, die Chucks im Schuhschrank, die Pantobrille auf der Nase. Die Liste der Retro-Gegenstände, die Teil unseres täglichen Lebens sind, scheint endlos zu sein. Retro ist allgegenwärtig.

Doch warum ist unsere Sehnsucht nach der Vergangenheit so groß?

Claudia Preis, Kulturwissenschaftlerin und Expertin für Retro-Phänomene an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), weiß Antwort, und spricht im Interview mit neustalgisch über die Hintergründe von Retro-Trends.

Frau Preis, war früher alles besser oder warum sind wir so auf Retro eingestellt?

Preis: Früher war natürlich nicht alles besser. Aber Elemente aus früheren Zeiten lösen heute meist positive Konnotationen und Gefühle beim Menschen aus. Denkt man beispielsweise an die 50er-Jahre zurück, erinnert man sich in der Regel an Nierentische, Cocktailsessel und Petticoats, jedoch nicht an rigide Sexualmoral oder dass Frauen in dieser Zeit nur mit Erlaubnis ihres Ehemanns arbeiten durften. Man stellt also hauptsächlich das Positive vergangener Jahrzehnte heraus.

Was bedeutet Retro denn genau?

Preis: Retro bedeutet, dass man bestimmte Stilelemente aus einer früheren Zeit herausbricht und sie für sein heutiges Leben neu kontextualisiert. Diese Stilelemente waren meist prägend für eine spezielle Ära, sind daraufhin in Vergessenheit geraten und rücken dann nach und nach wieder ins Bewusstsein der Allgemeinheit. Das muss jedoch nicht heißen, dass die Elemente komplett von der Bildfläche verschwunden waren. Sie können die ganze Zeit im Laden oder Privatbesitz der Menschen vorhanden und nur in der allgemeinen Wahrnehmung nicht präsent gewesen sein.

Und wodurch werden die Sehnsüchte nach der Vergangenheit letztlich geweckt?

Preis: Zum einen natürlich durch persönliche Erinnerungen. Zum anderen durch Filme und Musik, die vergangene Zeiten auf eine bestimmte Art und Weise präsentieren.

Das heißt jüngere Menschen finden längst vergangene Jahrzehnte vor allem deshalb gut, weil die Medien sie in einem rosigen Licht erscheinen lassen?

Preis: Genau. Durch die Medien werden den jungen Leuten bestimmte Themen und Stile aus früheren Zeiten positiv vermittelt. Diese werden von den Jugendlichen aufgenommen und individuell angepasst. Im Internet stehen den jungen Leuten ja auch wahnsinnig viele Videos gratis zur Verfügung, über die sie Lebenswelten einstiger Tage für sich entdecken können. Es heißt also nicht, dass sie in einem Jahrzehnt dabei gewesen sein müssen, um eine Faszination dafür zu entwickeln.

Ist der Rückgriff auf Elemente der Vergangenheit ein spezielles Phänomen der heutigen Zeit?

Preis: Nein, das gab es schon immer. Es ist Teil der Veranlagung des Menschen, dass man auf bestimmte Dinge zurückgreift. Dabei orientiert man sich meist an bestimmten Vorbildern und sucht Anknüpfungspunkte zu ihnen.

Gibt es ein Jahrzehnt, dessen Lebensstile oder Produkte momentan besonders beliebt sind?

Preis: Ganz genau kann man das nicht sagen. Aber es gab in der Vergangenheit immer wieder Revivals der 50er- und 60er- Jahre, auf deren Stilelemente auch zurzeit relativ stark zurückgegriffen wird. Im Angelsächsischen nennt sich das „Midcentury“.

Wann erleben stilprägende Elemente der 2000er-Jahre ihre Retrophase?

Preis: Bis ein bestimmtes Produkt oder ein Stil wiederkehrt, dauert es in der Regel zehn bis 20 Jahre. Schließlich muss etwas erst einmal in Vergessenheit geraten, bevor es neu entdeckt werden kann.

Ein Kommentar (+deinen hinzufügen?)

  1. Nico Keller
    Mär 11, 2013 @ 16:52:30

    Ich finde es toll, dass es sogar für Retro eine Expertin gibt. Hier ein Song von Heinrich von Handzahm, der das Thema Retro auch schön beschreibt: http://youtu.be/szVP1epmdrA

    Antworten

Hinterlasse einen Kommentar